Abends liegen mein Mann Dominic und ich noch lange wach und reden. Über den Tag, über neue Ideen, Textstellen, die wir verbessern sollten. Über Dinge wie Fußballspiele, bei denen ich mehr zuhöre und er derjenige ist, der erklärt. Letztens habe ich mir aus Spaß zum Einschlafen ein Gute-Nacht-Lied gewünscht. Tatsächlich quälte Dominic sich durch die ersten zwei Zeilen von Lalelu. Als Gegenleistung hat er sich ein paar Tage darauf eine Gute-Nacht-Geschichte gewünscht. Natürlich sollte ich mir eine ausdenken. Ich nahm die Herausforderung an, wusste ich zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht, was mich erwarten würde. Hier der missliche Ablauf meiner Versuche:

   

„Sternenklare Winternächte wie diese zurzeit sind magisch.“ Ich wartete und beobachtete, wie Dominic die Brauen zusammenkniff. Ich hörte ihn praktisch denken.

„Warum sind sie magisch?“

Ganz genau wusste sich die Antwort noch nicht. Aber meine Zunge ist immer erstaunlich kreativ, wenn sie auf Druck arbeiten muss und in einer ganz bestimmten Erzählstimmung steckt. „Wenn der Schnee eine dicke Decke bildet, und die Bäume wie abgebrannte Streichhölzer aus ihm herausragen, dann kann man besonders weit sehen. In diesen Nächten scheint der Halbmond besonders hell …“

„Wir haben keinen Halbmond“, unterbrach mich Dominic. „Er ist eher ein Strich. Wie der beim Symbol von Dreamworks.“

„Achso eine Sichel.“ In Gedanken sortierte ich die Details neu und versuchte, mir nicht den kleinen Angler von Dreamworks vorzustellen. „In diesen Nächten scheint der Viertelmond besonders hell, da sein Licht im Schnee reflektiert wird. Dann sieht man – wenn man ganz genau hinsieht – kleine Wesen zwischen den Bäumen hin und herhuschen. Diese Wesen hinterlassen keine Spuren, denn sie kennen einen Zauber, der diese verwischt. Diese Wesen haben auch eine Aufgabe. Sie klettern an Fassaden hoch und schauen durch die Fenster. Das kann man zur Weihnachtszeit besonders gut, da überall Lichterketten hängen. Die Zimmer sind dann in schummriges Rot und Grün getaucht und man …“

„Das soll ein Märchen werden oder?“, fragte Dominic plötzlich. „Das mit den kahlen Bäumen und dem Hin- und Herhuschen klingt wie aus einem Horrorfilm.“

Der Start war schon mal missglückt. Ich dachte an ein nächtliches Winterwunderland und er an eine Angstszenerie. „Diese Wesen nennt man auch Winterfeen. Sie tragen Kleider aus Schneeflocken und …“

Dominic unterbrach mich erneut: „Ich dachte es waren Elfen? Was denn nun?“

Ach Mist, ich hatte mich versprochen. Warum musste er selbst beim Einschlafen auf Details achten? „Was möchtest du denn lieber haben? Elfen oder Feen?“

„Wie wäre es mit Zwergen?“

Zwerge. Na super. Zwerge … Passte ja genial. Dennoch ließ ich mir nichts anmerken. „Gut, dann nennt man diese Wesen eben Winterzwerge. Sie tragen Gewänder aus Schneeflocken und haben eine eisblaue Haut. Ihre Bärte sehen aus wie buschiges Gestrüpp unter einer Schicht Schnee. Ihre Augen sind kohleschwarz.“

„Das klingt jetzt wirklich nach einem Horrorfilm. Wesen mit schwarzen Augen waren nie gut.“

„Okay, okay. Sie haben tintenblaue Augen.“

„Aber sie haben doch schon blaue Haut?“ Das war typisch mein Mann. Am liebsten mag er es bunt wie ein vermischter Tuschkasten und wundert sich, warum ich einen farblich abgestimmten Weihnachtsbaum haben will. Aber in dieser Situation diskutiert er über Blauschattierungen.

„Ja, eisblau. Das ist ein helles Blau. Die Augen sind aber dunkler“, erklärte ich. „Und sie tragen graue, feste Winterstiefel. Richtige Arbeiterschuhe, mit denen sie sich durch den Schnee kämpfen. Also diese Zwerge beobachten die Schlafenden durch die Schlafzimmerfenster und ..“

„Gut, dass wir im fünften Stock leben. Hier kann mich niemand beobachten.“

Leider habe ich das Talent, mich leicht provozieren zu lassen. Ich erwiderte: „Die Winterzwerge besitzen Strickleitern und Enterhaken. Die befestigen sie an unseren Balkon und klettern eifrig über die Brüstung.“

„Spanner.“

„Nein, so war das nicht …“ Wenn das so weiter lief, würde ich nie meine Geschichte erzählen. Die Details verschwammen langsam vor meinen Augen und doch gewann meine Entrüstung die Oberhand. „Die Zwerge sind keine Spanner!“

„Sag mal, was machst du da eigentlich?“, fragte Dominic; natürlich wieder hellwach. „Ergibt das noch einen Sinn?“

„Ich versuche hier, eine Geschichte zu erzählen. Wahrscheinlich hätte sie Sinn, wenn du mich nicht ständig unterbrichst! Und ich dann wieder den Faden verliere!“

„Das merkt man.“

Ich drehte mich von ihm weg und verschränkte die Arme. „Du kannst mich mal! Ich wollte kleine Elfen haben …“

„Also jetzt doch Elfen.“ Ich hörte an seinen Worten, dass er grinste.

„Ja … Elfen, die dicke Socken tragen, damit ihre Füße warm bleiben“, erwiderte ich dennoch. „Und die in kleinen Sprüngen über den Schnee hüpfen. Sie konnten mit ihren glitzernden Flügeln fliegen und mussten nicht klettern. Aber ich habe nur deine blöden Zwerge! Die irgendwie zu meiner Idee passen sollen, dass Winterelfen die wahren Weihnachtselfen sind und für den Weihnachtsmann arbeiten. Ach menno … da draußen hängen wegen uns halb fertige Elfen und Zwerge in der Luft und frieren.“

Persönlich bin ich ein Anhänger der umgekehrten Peter-Pan-Theorie. Wenn ich sage, ich glaube nicht an Elfen, fällt niemand tot um. Wenn ich aber ihre Geschichte nicht vernünftig erzähle, existieren diese Wesen lediglich mit einem Flügel oder sechs Daumen an jeder Hand. Absurde Vorstellung, gewiss, aber erheiternd.

Jedenfalls lagen wir eine Weile schweigend beieinander. Ich schmollte und dachte an meine kleinen Weihnachtshelfer, um etwaige Fingermissbildungen zu verhindern. Dann hörte ich Dominic leise lachen.

„Was ist los?“

„Ich stell mir gerade vor, wie fünf Weihnachtszwerge nach getaner Arbeit am Lagerfeuer sitzen und Hähnchen grillen.“

„Aber die sind nicht größer als deine Hand! Wie sollen sie …“

„Sie müssen doch ständig Fassaden hochklettern. Das schlaucht.“ Dominic lachte erneut. „Und sie grillen fünf Hähnchen an einem Dönerspieß. Damit sich auch niemand um die Keulen streiten muss.“

„Hast du Hunger?“

„Ja.“

„Wusst ich’s doch.“ Damit war alles Fragen vergeben und vergessen und ich rollte mich zurück in seine Arme. Dennoch hob ich ein letztes Mal den Kopf und blickte aus dem Fenster. Dunkelheit spannte sich wie ein Laken hinter der Scheibe und der Mond versteckte sich hinter schweren Wolken. Ich lächelte. In dieser Nacht würden keine Winterzwerge ihre Nasen an unserer Fensterscheibe platt drücken. Bei Schneefall arbeiten sie nie gern..

Eine missglückte Weihnachtsgeschichte

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