In den letzten Wochen bin ich einige Kilometer durch Brandenburg gefahren und habe allerlei Regionales aufgeschnappt. Ich habe mir einen Weg durch endlose Wälder gesucht, winzige Abbiegungen verpasst und viel, viel Natur gesehen. Aber auf meinem Weg nach Schildow (Mühlenbecker Land) habe ich mich zum ersten Mal gefragt, wohin es mich nur verschlagen hat? Wo war ich?
Ernsthaft, es ist gruselig! Wenn man an Berlin denkt, sieht man den Potsdamer Platz vor Augen, den Fernsehturm, breite Straßen, Menschenmassen … Aber nicht dass man innerhalb von fünfzehn Minuten mitten im Nichts steht. Abgesehen von Wiesen, Bäumen und ein paar Koppeln in der Ferne. Der einzige Anhaltspunkt blieb das Märkische Viertel in meinem Rücken, dessen Hochhäuser in den Horizont ragten.
Aber sonst? Sonst war es ziemlich holprig. Ich habe mir einen Spaß daraus gemacht, in Hohen Neuendorf durch die Stolperstraße zu fahren, die mit Kopfsteinpflaster ausgelegt war. Ich ziehe es zurück. Der ultimative Wachrüttler sind die Straßen von Blankenfelde, Rosenthal und das Nichts in Richtung Schildow – Da sah es so aus wie im Foto rechts! Ich will gar nicht wissen, wie sehr man auf diesen Straßen noch vor dreißig Jahren oder mit Pferdekutschen durchgeschüttelt wurde …
Schildow selbst ist ein Ort voller Kontraste. Zur Linken findet man eine altmodische Pferdekoppel, zur Rechten ein sehr modernes, komplett verglastes Familienhaus. Entweder sind die Grundstückspreise dort sehr niedrig oder die Berliner Geschichten über Lübars & Co stimmen wirklich. 😉
Auf jeden Fall habe ich den Weg zur Europaschule am Fließ gefunden und war überrascht von dem kastenförmigen Gebäude, das irgendwie nicht zum Rest des Dorfes passte. Dafür begrüßten mich direkt ein paar Kinder und erzählten mir von ihrem Projekt, bei dem sie Spendengelder für Japan sammeln.
Das Chaos, das mich in Nauen heimsuchte, verfolgte mich auch nach Schildow. Akuter Lehrermangel durch Krankheitsfälle. Geplant waren zwei Lesungen in den fünften Klassen; jeweils im Klassenverband. Spontan wurde daraus eine Lesung über zwei Schulstunden vor drei fünften Klassen in der Aula. Was wiederum bedeutete: Mikro. 🙂 Langsam gewöhne ich mich an die Technik. Zum Glück hat man mir erklärt, wie ich Mikrofone richtig einstelle. (Eigentlich erstaunlich, was das Leben einen alles beibringt.) Aber damit gab das Chaos sich nicht geschlagen, nein, nein. Ich hatte mit den Klassenlehrern vereinbart, dass das erste Kapitel gelesen wird. Nun waren diese aber krank und ich stand vor folgendem Dilemma. Die eine Klasse kannte das komplette Kapitel, die zweite nur die ersten zehn Seiten und die dritte hatte keine Ahnung, worum es eigentlich gehen sollte.
Vielleicht sollte ich mich einfach ans Improvisieren gewöhnen, es kommt schließlich doch anders, als geplant. Zumindest durfte ich den Schülern erklären, dass ich von Anfang an lese, was die meisten positiv aufnahmen. Diejenigen, die sich beschwerten, und sich Langeweile fürchteten, musste ich eben mit meinem Vorlesen begeistern. Das war eine Herausforderung und es gibt nichts Besseres als eine schwierige, um daran zu wachsen.
Also, wo war ich? Woah! Drei Klassen! Eine ganze Aula voll!
Die Lesung verlief gut; trotz der großen Gruppe. Natürlich gab es hier und da ein paar Störungen, aber das ist normal. Aber in Schildow musste ich kaum eingreifen, da die Kinder sich selbst kontrollierten. Die, die unbedingt zuhören wollten, haben alle Unruhestifter ermahnt. Unruhig wurde der Saal erst, als ich nach Berufswünschen und Traumberufen fragte. Aber wenn drei Klassen beschließen sich darüber auszutauschen, dann hilft auch kein Mikro mehr. Letzten Endes bin ich durch die einzelnen Reihen gewandert und habe die Vorschläge gruppenweise gesammelt. Besonders ausgefallen waren dieses Mal der Computerhacker, die Vulkanologin, die Kieferorthopädin, der Schulschwänzer, die Bürgermeisterin und die Buchleserin/bewerterin.
Die außergewöhnlichste Idee kam aber einem Jungen, der die mitgebrachten Materialen auf seine eigene Art nutzte. Aus Flyer, Lesezeichen und der Rückseite des Stickers bastelte er einen Papierflieger! Eigentlich hätte es mich ärgern sollen, aber der Flieger sah so genial aus, dass wir beide erstmal einen Testflug durch die leere Aula gestartet haben. Ich habe noch schnell ein Foto gemacht – Vielleicht hätte ich den Jungen fragen sollen, ob er mir das „Timmy-Werbe-Flugzeug“ als Andenken überlässt.
Nach meiner Lesung habe ich noch mit einem Jungen gesprochen, der mir definitiv das Gefühl gab, dass es ihm Spaß gemacht hatte. Ganz stolz erzählte er mir: „Ich weiß das Geheimnis des Onkels. Er ist ein Allergomörder.“ Was sollte ich darauf antworten? Außer dafür musst du das Buch lesen? Er ging und kam wieder mit: „Und wird Timmy auch ein Allergomörder?“ Okay, ich habe ihn ein bisschen vom Allergomörder-Training erzählt, das im hinteren Teil des Buchs stattfindet. Er zog wieder von dannen, doch als ich mich umdrehte, war der Junge schon wieder da. Dieses Mal fragte er: „Muss Timmy seine neue Freundin … töten?“ Nein, natürlich nicht! Aber irgendwie konnte ich mein Grinsen nicht abstellen. In der Hoffnung, dass die Akkuraten Ämter und ihre Jagd auf die Allergomörder den Jungen zufrieden stellen würden, erzählte ich weiter vom Buch – ohne viel zu verraten. Und schwupp er tauchte wieder mit der Frage auf: „Ist Timmy ein Spion?“ – Da war ich ganz sprachlos!
Als ich die Grundschule verließ, traf ich noch auf eine Gruppe Viertklässler, die mich neugierig gefragt haben, was ich denn in ihrer Schule mache. Ich erzählte von der Buchvorstellung und die Jungen und Mädchen beschlossen, ihre Lehrerin zu bitten, mich auch für die vierten Klassen einzuladen. Daher war dies vielleicht nicht mein letzter Besuch in Schildow. 😉
Die Mädchen waren übrigens richtig clever, als ich ihnen meine letzten Leseproben mitgab. Schließlich würden ihre Eltern nur glauben, dass sie eine „richtige Autorin“ getroffen haben, wenn ich die Leseproben auch signiere. So langsam kritzel ich überall meinen Namen drauf …
Und zum Schluss noch ein paar Schnappschüsse. Das Wetter war mies, aber dank den Kindern der Europaschule brauchte ich an diesem Tag keine Sonne, um fröhlich zu sein.