Also wenn um 5:30 Uhr der Wecker klingelt und die geschätzten Audi, BMW und Mercedes Fahrer ständig auf der Autobahn drängeln (140 km/h sind anscheinend nicht schnell genug auf einer freien Strecke), dann möchte man den Arbeitstag doch wenigstens ohne schockierendes Erlebnis beginnen. Oder nicht? Mir blieb dies am Freitag, den 15.4. leider nicht erspart. Denn kaum hatte ich die Tür zur Grundschule in Kremmen (Oberhavelland) aufgeschoben, blickte mir Goethe in die Augen. Also, eine Büste von ihm. Langsam glaube ich, Goethe stalkt mich und zwar solange, bis ich Faust I+II beendet habe. 😉
Kremmen, Vehlefanz, Amalienfelde, Schwante Orion und all die Nachbardörfer, die ich mir nicht merken konnte, zeichnen sich durch einen Umstand aus: Sie liegen an der B237 und sie bestehen anscheinend nur aus Eigenheimen. Die Grundschule selbst sticht aus dem Bild heraus, besonders mit der großen Baustelle im Zuge der neuen Schulreform. Und natürlich der riesige Schulhof. Fragt mich nicht, was ich an Schulhöfen finde, aber verglichen mit anderer Höfe Platz‘ und Spielmöglichkeiten war mein alter richtig öde.
Geplant waren vier Lesungen in den fünften und sechsten Klassen. Als ich ankam, war der Raum noch nicht vorbereitet, daher durften der Reporter der Märkischen Allgemeinen und ich noch Tische und Stühle rücken. Ja, Reporter. Der Herr war so nett mir dabei zu helfen, da die Lehrerin, die mich am Tag begleitete, noch einen Test beaufsichtigte. Sobald mein Lesekreis aufgebaut war, stand die erste Klasse schon vor der Tür. Ich war positiv überrascht, als die Kinder ganz neugierig fragten, ob sie schon eintreten dürften. Oft genug bin ich schon Schülermassen ausgewichen, die sich auf die freien Stühle stürzten.
Zwar habe ich nicht ganz verstanden, was das Besondere am sogenannten „Flex-Klassenraum“ war, den wir beschlagnahmten, auf jeden Fall hat er zu einer lustigen Begebenheit geführt: Während der dritten Lesung begann der Lehrer im Nachbarraum, laut zu singen. Ein englisches Kinderlied! Und die Zweitklässler stimmten fröhlich mit ein. Meine Zuhörer grinsten sich nur einen und erklärten mir, dass jener Lehrer dies bei ihnen auch geträllert habe. Die Szene war schon fast verzaubert von einer gewissen Wisst-ihr-noch-Nostalgie, wobei ich mich ziemlich anstrengen musste, um konzentriert zu bleiben. 😉
Die besten kuriosen Berufe:
- Fernsehtester – In Zeiten des Plärr-TVs und der Realitysoaps bin ich dafür!
- Buchbewerterin – Ein Mädchen wollte die Bücher lesen, die man geschenkt bekommt, damit man auch weiß, ob sie gut oder schlecht sind
- Schleifenbinderin – Nie wieder offene Schnürsenkel
- Schmetterlingsanmaler – Dieser Junge möchte Schmetterlinge fangen und ihre Flügel bemalen. Eigentlich eine schöne Idee, nur gibt es völlig weiße Schmetterlinge?
- Tafelputzerin, welche direkt von der anwesenden Lehrerin engagiert wurde
- Grasbegrüner
- Zeitungsvorleserin – Dieser Beruf gefällt mir so gut, ich möchte ihn am liebsten in einem weiteren Band einbauen. Ich kann mir praktisch schon vorstellen, wie die Rentner und Pensionäre des Ur-Ur-Archipels Vorleser einstellen, da sie mal wieder ihre Brillen verlegt haben. 😀
Das Beste kam jedoch zum Schluss und schlug ganz unvorbereitet zu. In der letzten Klasse gab es zwei Jungen, die bereits den ersten meiner Parts mit Gesten untermalten. Wie eben Glaspolierer, Briefmarkenkleber und dergleichen arbeiten würden. Die beiden Jungen waren so fantastisch, dass ihre Lehrerin vorschlug, sie könnten doch den Mittelteil (in dem Korbe Timmy über den Ursprung der Berufe aufklärt) pantomimisch begleiten. Es war der Brüller! Sie spielten Timmy und Korbe, wie der eine sich aufregte, der andere beschwichtigte – bewegten sogar die Lippen synchron zu meinen Sätzen. Ich habe es nur aus den Augenwinkeln gesehen, aber wir alle schüttelten uns vor Lachen. Wie sehr habe ich mir doch gewünscht, meinen Camcorder dabei zu haben!
Bei all dem Spaß, den ich hatte, vier Lesungen schlauchen. Bisher gebe ich den Schüler immer als Vergleich, dass eine Lesung wie eine Klassenarbeit ist. Fünfundvierzig Minuten volle Konzentration und alles geben, wozu man fähig ist. Aber dann schauen sie mich immer ganz erstaunt an – als könnte es doch gar nicht so schwer sein. Eigentlich schade, aber in je mehr Schulen ich zu Gast bin, desto höher schätze ich die Arbeit, die Lehrer leisten. Sobald man kein Schüler mehr ist, merkt man erst, was für ein verdammt harter Job das ist.
Wie gewohnt zum Abschluss ein Stück Lokalgeschichte. Das „Highlight“ Kremmens ist das sogenannte Scheunenviertel. Dies ist eine Ansammlung von ca. 50 Gebäuden. Laut http://www.scheunenviertel-kremmen.com/ das deutschlandweit größte, erhaltene Ensemble. Dort finden immer wieder Kunst-, Handwerker- und Trödelmärkte statt; sowie auch die Kremmener Dorffeste.
Ich staune auch über dein Durchhaltevermögen. 4 Lesungen ist echt der Hammer, und dafür dass du so viel unterwegs bist, mutest du dir ganz schön was zu,
Trotzdem klingen deine Berichte vergnügt und individuell.
Gruß Annette
Vier Lesungen sind eher eine Ausnahme, aber es macht trotzdem Spaß. Die Berichte müssen doch individuell sein, jede Schule und jede Klasse sind in ihrer Art anders.