Vorsicht, Spoiler! Außerdem beziehe ich mich auch auf den ersten Band!

Handlung:
Das dunkle Märchen geht weiter. Jacob Reckless düstere Abenteuer gehen weiter. Seinen Bruder Will hat er retten können, doch der Preis war hoch. Wird sich die Motte auf seiner Brust, Zeichen des Feenfluchs, lösen und zu ihrer Herrin fliegen, ist Jacob dem Tode geweiht. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt und ein Wettkampf mit dem Goyl Nerron um den einen Schatz. Er kann die Welt auf der anderen Seite des Spiegels ins Verderben stürzen und ist doch Jacobs einzige Rettung. Gemeinsam mit dem Mädchen Fuchs kämpft Jacob nicht nur um sein Leben.

 

Figuren:
Jacob entwickelt sich im zweiten Band nicht weiter, abgesehen davon, dass er seine Liebe zu Fuchs erkennt. Er ist praktisch wie gelähmt von dem Gedanken, dass der Fluch ihn töten wird und was dann mit Fuchs passieren könnte. Dafür, dass Jacob im ersten Teil so viel Tiefe aufzeigte, fehlte diese im zweiten fast völlig. Jacobs Gedanken, sein Handeln, … alles richtete sich auf ein Thema aus: seinen möglichen Tod. Persönlich gesehen, empfand ich dies als schade, nicht mehr von Jacob zu erfahren.

Dagegen ist Fuchs diejenige, die die größte Entwicklung zurücklegt. Ihre Gefühle zu Jacob, der Konflikt mit ihrer Vergangenheit, der Konflikt, eine Gestaltwandlerin zu sein und für welche Seite sie sich entscheiden soll, … All dies beschäftigt Fuchs und gibt dem Leser eine gute Vorstellung über die Figur.

Nerron und seine Partei sind deutlich besser charakterisiert als Jacob und Fuchs. Besonders Nerron ist viel präsenter in seiner Art und Weise, nachvollziehbarer und er hat auch eher einen Schmunzler beim Lesen hervorgebracht als Jacob. Dazu war Jacob im Vergleich zu Nerron deutlich brutaler und schreckte weniger vor dem Töten zurück als der eigentliche Bösewicht. Ich frage mich immer noch, warum.

Auch die Dialoge haben im zweiten Band gelitten. Der Witz zwischen Jacob und Fuchs ist verloren gegangen, sie reden so gut wie immer dasselbe über die 411 Seiten. Da waren die Dialoge auf Nerrons Seite deutlich besser geschrieben.

 

Sprache:

Stilistisch gesehen hat der zweite Band meine Erwartungen nicht erfüllt. Ständig las man die gleichen Satzkonstruktionen (Subjekt+Prädikat+Objekt), Übergänge fehlten, Themenbrüche mitten in der Passage, falsch gesetzte Bilder, … Auch konnte ich das Gefühl nicht unterdrücken, das bestimmte Formulierungen sich phasenweise wiederholten. Wie zum Beispiel „der Tod saß ihn im Nacken“ im vorderen Teil und „klebte“ im hinteren Teil des Buchs.

Auch gab es immer wieder Passagen und Inhalte, die sich wiederholten. Wie der Wassermann, der seine Mädchen in einen Tümpel zerrt und sie dort mit Gold umhängt. Das war zum Ende hin einfach nur noch störend.

Atmosphäre baute sich erst am Ende des Buchs auf, wenn Jacob raus aus den Städten und ins Gebirge reiste. Davor las es sich eher wie eine lange Aneinanderreihung von Infos, währenddessen kaum Aktion oder Dialoge stattfanden.

 

Kritik:
Der zweite Band hat sich von der Grundhandlung entfernt, von der Grimmschen Märchenwelt ist nicht mehr viel übrig geblieben. Dafür wurden sämtliche europäischen Sagen, Mythen und Legenden irgendwie reingequetscht und oft nur angerissen. Dadurch gelang es der Autorin nicht, Tempo aufzubauen. Die Perspektivenwechsel, die im ersten Band noch sehr gut gewählt waren, reißen hier die Geschichte auseinander und strecken die Handlung. Selbst spannende Parts werden nur so kurz in diesen Kapiteln angerissen, dass keine Spannung aufkommen kann.

Dementsprechend bauten sich die ersten 100 Seiten unglaublich langsam auf. Obwohl es im Vorfeld relativ klar war, worauf der Band abzielen sollte, beginnt die Schatzsuche erst ab Seite 100 und davor (aber leider auch danach) liest man viel, viel Input.

Im Gegensatz zum ersten Band war es schade, dass der zweite detailüberladen war. Im ersten Band waren die kleinen Details am Ende oft wichtig, beim zweiten wurde man halbwegs erschlagen. Zum Beispiel gab es vier magische Gegenstände, die das Leben abziehen und wiedergeben. Ich frage mich, wofür so viel?

Viele Details wurden gestreut, aber nicht weiter gebraucht (der Glasring, der Krötenlaich) und magische Gegenstände, die noch wichtig wurden (das Jademesser), gingen dabei fast unter.

John Reckless in Albion. Der Hinweis war überdeutlich, aber wofür hat man diese Szene eingebaut? Um die Leser daran zu erinnern, dass der Vater noch vermisst wird? Sonst hatte diese Szene keinen weiteren Sinn. Abgesehen davon, dass Jacob im ersten Band alles für seine Familie getan hätte, rückte die Suche nach dem Vater komplett aus dem Fokus. Aber vielleicht wird er ja noch in einem weiteren Teil gebraucht … 🙁

Außerdem wurden auch Details, die man im ersten Band und im Laufe des zweitens einbaute, vergessen. Wenn Zwerge so gute Schützen sind, warum hat der Zwerg in Vena nicht auf Jacob geschossen? Männer, die humpeln, sollten nicht schneller die Treppe erklimmen als andere. Jemand, der einen Säbel am Kinn hat, kann schlecht den Kopf senken, um seinen Gegner mit einem Hirschgeweih aufzuspießen.

Leider wurde die Märchenwelt in den Hintergrund gedrängt und in ein von der Modernisierung erfasstes Abbild unserer realen Welt verwandelt. Hätte man noch die wenigen Märchenfiguren rausgestrichen, wäre das eine ganz normale Abenteuergeschichte gewesen. Die Schatzsuche hätte auch in jeder anderen selbst ausgedachten Welt stattfinden können. Ich habe den Bezug zu den Märchen, der den ersten Teil auszeichnete, vermisst.

Als Autorin mag ich es nicht, wenn rein zufällige Gegebenheiten die Handlung entscheiden, und zwar so extrem, dass ohne sie die Geschichte nicht funktioniert. Mein Mann, der das Buch mit mir gelesen hat, fand diese eher als eingeschoben, um die Handlung doch noch voranzutreiben, ihr eine Wende zu geben. Aber der Zauber, mit dem man von A nach B sprang, war abgesehen davon, dass es ein netter Effekt war (und ein bisschen Aktion brachte), nur reingeschoben, eine Art „deus ex machina“-Akt der Autorin. Warum wurde der Zauber nicht früher verwendet? Oder häufiger? Praktisch war er ja.

Warum wurde der Handlungsstrang des Blaubarts nicht besser eingeflochten? Warum war es zufällig derjenige, der unbewusst des Rätsels Lösung besaß? Eine Geschichte muss auch ohne diese Zufälle funktionieren.

Und für mich der größte Kritikpunkt. Jacob stößt zwar immer wieder auf die Konsequenzen des ersten Bandes, aber für die Machtübernahme der Goyl und deren Besatzung muss er sich weder rechtfertigen, noch scheint es ihn wirklich zu kümmern. Dieser Konflikt wurde größtenteils außen vor gelassen. Schade eigentlich.

Außerdem gab es einen groben Fehler am Ende des Buchs. Wie kann jemand, der laut den anfänglichen Informationen nur noch eine Stunde zu leben hat, in einen Zauber geraten, der ihm das Leben entzieht und Jahre um Jahre verlieren, bis er ein grauer Mann wird? Wie geht das bitte von statten, ohne ein Widerspruch zu sein?

 

Zusammenfassend:

Ich lese immer wieder Cornelia Funkes Werke und der erste Band der Reihe hat mir richtig, richtig gut gefallen, aber der zweite Teil hat mich enttäuscht. Die Geschichte hat mich nicht gefesselt und las sich eher wie ein Aufbau für einen weiteren Teil. Earlking war ein überdeutlicher Hinweis, schließlich leitete er die Geschehnisse, aber kam noch nicht weiter vor.

Daher gibt es nur 2 von 5 Sternen für die Fortsetzung von Funkes „Reckless“-Reihe. Mal sehen, was der nächste bringt.

Rezension : Cornelia Funke – Reckless 02 – Lebendige Schatten

Ein Kommentar zu „Rezension : Cornelia Funke – Reckless 02 – Lebendige Schatten

  • 18. Oktober 2012 um 22:43 Uhr
    Permalink

    Generell kann ich mich der Rezension durchaus anschließen, allerdings muss ich sagen: Gefesselt hat mich das Buch durchaus. Auch wenn es die ein oder andere Stelle gab bei der ich mich nur mit langem Atem kämpfen konnte.

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