– Metamorphose am Rande des Himmels –
160 Seiten
Carl’s Books
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Autor: Mathias Malzieu, geboren 1974 in Montpellier, Frontmann der französischen Kultband „Dionysos“, ist ein Meister im Erfinden von einzigartigen Traumwelten. Nach dem internationalen Überraschungsbestseller Die Mechanik des Herzens wurde auch Metamorphose am Rande des Himmels zu einem sensationellen Erfolg in Frankreich. Malzieus nächster Roman erscheint in Kürze in Frankreich. (Quelle: Carl’s Books)
Inhalt: Ich heiße Tom »Häma-Tom« Cloudman. Man sagt, ich sei der schlechteste Stuntman aller Zeiten. Ganz falsch ist das nicht. Ich bin außergewöhnlich ungeschickt und laufe ständig überall gegen. Ich beneide die Vögel um ihre Freiheit, vielleicht schaue ich zu oft zu ihnen hoch. Schon auf dem Schulhof zog ich Rollschuhe an, um fliegen zu üben. Ich raste auf einem alten Skateboard das Schuldach hinunter und wedelte dabei heftig mit Pappflügeln. Aber ich flog nicht hoch, sondern immer nur auf die Nase. Nachts klettere ich eine Leiter hoch, öffne eine knarrende Falltür und bin auf dem Dach. Ich traue meinen Augen kaum. Eine gigantische Voliere! Ein Federnpalast! Alle erdenklichen Rottöne entflammen die Nacht. Eine Frauengestalt sitzt auf einer Schaukel: Ein hautenger Federanzug schmiegt sich an ihren Körper. Ich verspüre den unwiderstehlichen Drang, sie zu berühren. Die Vogelfrau streckt die Arme seitlich aus, geht in die Knie, drückt das Kreuz durch und stößt sich vom Boden ab. Sie schlägt elegant mit den Flügeln. Die Vogelfrau kreist einmal über mir, dann kommt sie wieder zu mir herabgeschwebt: »Möchten Sie fliegen lernen, Tom Cloudman?« (Quelle: Carl’s Books)
Die Aufmachung: Das Cover zeigt eine der Schlüsselszenen des Buchs und weist daraufhin, dass ähnlich wie bei Malzieus Vorgänger „Die Mechanik des Herzens“ es sich wieder um ein phantastisches Märchen handeln wird, eine Novelle für Erwachsene. Persönlich hat es mir sehr gut gefallen, dass die Illustration der von Malzieus Debüt im Stil gleicht.
Aber nicht nur das Cover ist wunderschön, das gesamte Buch ist von der Aufmachung her ein Schmuckstück. In der Innenausstattung, den Kapitelanfängen, überall findet man Vögel und Federn, was die Geschichte insgesamt wunderbar abrundet.
Figuren: Die Novelle ist so kurz, ich kann kaum etwas über die Figuren sagen, ohne zu viel zu verraten… Tom jedenfalls ist ein Stuntman, der eher für seine Bruchlandungen und Verletzungen bekannt ist als alles andere. Im Momenten des Nervenkitzels fühlt er sich erst richtig lebendig; er ist ein Adrenalinjunkie. Doch bringt ihn nichts, weder Alltag, noch Freunde, noch die Liebe, von seinem gefährlichen Lebensstil ab.
Ich strebe nach immer neuen Extremen. Höher, schneller, weiter, länger. Ich war ein Kreisel aus Fleisch und Blut, nur in Bewegung geriet ich nicht aus dem Gleichgewicht. (Seite 10)
Doch mit zunehmendem Alter kommt Tom nach einem Sturz ins Krankenhaus und bekommt die Diagnose, dass er unter Krebs leidet – im Endstadium. An diesem Ort, auf dem die Patienten nur noch auf den Tod warten, gibt Tom jedoch nicht auf. Er lässt die Krankheit, die er „rote Beete“ getauft hat, nicht gewinnen. Tom träumt weiter und hartnäckiger vom Fliegen, selbst wenn sein Körper letzten Endes dafür zu schwach sein wird. Und dann begegnet er auf dem Krankenhausdach der Vogelfrau, die das Angebot macht, ihm ein neues Leben zu schenken. Er könnte eine Metamorphose zum Vogel vollziehen, sein Leben im Tausch gegen ein neues, so heißt es.
Die Begegnung mit der Vogelfrau, Toms Kampf gegen den Krebs und die Metamorphose bestimmen einen Hauptteil des Buchs. Fasziniert hat mich, wie Malzieu die unterschiedlichen Phasen der Verwandlung darstellt. Seite für Seite wird Tom immer mehr zum Vogel und verliert dabei seine Menschlichkeit. Dies bereitet ihm zwar Angst, aber es ist auch sein Traum. Ein Leben lang wollte er fliegen, frei sein wie die Vögel. Diese Verwandlung, wie er sprichwörtlich wie der Phönix aus der Asche neu geboren wird, hat mir sehr, sehr gut gefallen.
Sprache: Kraftvoll. Poetisch. Verträumt und dennoch so herrlich flüssig, dass ich beim Lesen wie ein Vogel über die Seiten flog. Malzieus Stil ist in vielerlei Hinsicht einzigartig. Bildgewaltig aber dennoch nicht erschlagend. Viel eher so, als würde er seine Geschichte mit Worten malen als nur zu erzählen.
Ich streife die Spitze einer riesigen Tanne, an der die Sterne befestigt sind. Sie fallen als Silberregen zur Erde und werden zu tausend neuen Lichtern. Pures Glück! Der Wind trägt mich immer höher in den Himmel, die Nacht schmeckt nach Sternschnuppen. (Seite 108)
Und so märchenhaft und phantastisch er doch schreibt, bleiben die Figuren immer noch menschlich, emotional und liebenswürdig. Ich konnte Toms Ängste, Zweifel und seinen festen Glauben an seine Träume sehr gut nachempfinden.
Lob und Kritik: Die Symbolik ist zauberhaft und durchdringt die Geschichte von der ersten bis zur letzten Seite. Allein was seine Verwandlung und Toms Krankheit betrifft. Einerseits wuchert die rote Beete, der Krebs, in Toms Rücken, andererseits sprießt und ja wuchert fast sein feuerrotes Federkleid. Ob Tom nun der Krebs sterben lässt oder die Verwandlung zum Vogel sein menschliches Bewusstsein auslöscht – sei nun in den Raum gestellt. Aber alles passte einfach richtig gut zusammen. Das Krankenhaus als Ort zwischen Himmel und Erde – sowohl für die bald Sterbenden der Krebsstation als auch für Tom, der von dort seine Verwandlung beginnt. An sich wirkte das Krankenhaus ganz eigentümlich, wie verzaubert; trotz der Todgeweihten und der melancholischen Stimmung. Durch Malzieus Schreibstil las es sich wie eine Inszenierung. Der Ort lebte, atmete, er erdrückte und fesselte Tom.
Der Lichtschalterdirigent lässt die Neonröhren explodieren, das Krankenhaus flammt auf wie eine elektrische Sonne. (Seite 19)
Vielleicht auch weil Tom Cloudman viel mehr im Sinn hatte, als einfach nur bis zu seinem Tod dahinzuvegetieren. Neben dem Schreibstil ist dies auch der zweite wichtige Punkt, der das Buch ausmachte. Tom gibt seine Träume und seine Hoffnung nicht auf. Er macht immer weiter, um einen Weg zu finden, dem Unausweichlichen zu trotzen. Gerade seine Bemühungen machen ihn zu einer besonderen und auf positive Weise seltsamen Figur.
Trotz der traurigen Kulisse und Toms Leiden konnte ich schmunzeln durch die leise Ironie, die immer wieder durch die Zeilen schimmerte. Ich war überrascht, dass Malzieu sich so ein ernstes Thema vorgenommen hat. Und noch überraschter, als ich merkte, wie gut es zur Geschichte passte, wie gut es durchdacht und dargestellt war.
Die Kritikpunkte sind dieses Mal kurz. So kurz wie das Buch. Ich hätte mir nämlich ein paar Seiten mehr gewünscht, um noch besser das Mondkind Victor und die Menschen im Krankenhaus zu beleuchten. In dieser Hinsicht hat mir die Ausarbeitung von „Die Mechanik des Herzen“ besser gefallen. Deswegen ist dieses Buch aber nicht weniger skurril gewesen!
Zusammenfassend: Ein Buch, das Flügel verleiht. In vielerlei Hinsicht. Malzieu webt ein magisches Feuerwerk aus Bildern und seiner außergewöhnlichen Sprache eine einzigartige Geschichte. Verrückt, grandios – eine eindeutige Leseempfehlung. Daher vergebe ich volle 5 von 5 möglichen Sternen für „Metamorphose am Rande des Himmels“.
Und zum Schluss bedanke ich mich noch einmal herzlich bei Carl’s Books für das Rezensionsexemplar!