Wer das Buch nicht kennt: http://www.lovelybooks.de/autor/Cornelia-Funke/Reckless-218628230-w/
Eins habe ich heute gelernt. Bevor ich jemals wieder Theaterkarten für September kaufe, sehe ich nach, ob an diesem Wochenende Berlin Marathon ist. Im Juli habe ich natürlich einen Gedanken daran verschwendet, warum auch? Dafür haben wir, Dominic und ich, fast eineinhalb Stunden gebraucht, um anzukommen. Allen Straßensperren, Einbahnstraßen und dem Dauerregen zum Trotz.
Es war mein erster Besuch in der Komischen Oper, dem unscheinbaren Gebäude mitten im Herz des Marathons. Die modernen ringförmigen Gänge lassen nicht erahnen, was für eine Pracht von Saal das Innere bereithält. Ich fühlte mich um ein Jahrhundert zurückgesetzt, dank des Oberrangs, des „Phantom der Oper“ – Kronleuchters und dem vielen, vielen Rot, das die Stühle, Wände, Teppiche, … kleidete. Nicht zu vergessen die herrlichen Verzierungen und Schnörkel!
Die Bühne war aufgeteilt in einen kleinen Bereich für die „Band“ bestehend aus Chello, Violine und einem Soundmixer, die für die musikalische Untermalung sorgten, einem gewaltigen Tisch, an dem die Lesung abgehalten wurde und einer kleinen Sofaecke, ebenso mittelalterlich aussehend, die man später für das Interview nutzte. Natürlich thronte im Hintergrund ein gewaltiges Abbild des Covers, mit Wills steinernen Goylgesicht als Zierde.
Die mystische Stimmung war also bereits kreiert, bevor der Abend überhaupt angefangen hatte. Aber die genialste Selbstinszenierung blieb dennoch der Auftritt von Frau Funke. In einem jadegrünen Kleid, das direkt aus der Spiegelwelt hätte stammen können, betrat sie die Bühne; direkt durch das Abbild von Will. Man hätte sie auch für die Dunkle Fee aus ihrem eigenen Buch halten können, wie sie erhaben auf die Zuschauer zu schritt, gekleidet in die vielen Schichten einer Blüte. Aber auch Rainer Strecker – Hörbuchstimme und Lesepartner – steckte in seinem Outfit nicht zurück. Lederstiefel, Mantel und Zylinder formten ihn zu stattlichen Edelmann der Spiegelwelt, dennoch zog das Kleid die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Schließlich hatte es auch eine Bekannte Funkes angefertigt, die schon einen Oscar für ihre Filmkostüme erhalten hat.
Jetzt mal ehrlich, wen muss ich in meinem Leben kennenlernen, damit man mir so ein Kleid schneidert?
Funke und Strecker sind lesetechnisch ein eingespieltes Team. Dadurch, dass die Kapitel von Reckless auch sehr kurz gehalten sind, haben sie innerhalb der Stunde eine ganze Menge geboten. Absätzeweise wechselten sie sich ab und übernahmen die entsprechenden Rollen. So hauchte Funke Fuchs das Leben ein und Strecker brillierte bei den männlichen Parts, den Goyls und Chanute. Zusammen schufen sie ein lebendiges Leseerlebnis. Dennoch blieb es – abgesehen von den spannenden Stellen – sehr ruhig. Wieder einmal hielt es mir vor, dass ich beim Vorlesen zu sehr hetze …
Ich habe das Gefühl, Frau Funke ist die zweite – erfolgreiche – Hälfte von mir und nicht nur eine Fast-Namensvetterin. Im Interview hat sie einige Antworten gegeben, die zu 90% auch aus meinem Mund hätten stammen können.
„Ich habe immer Papier und einen Stift dabei. Dabei ist der Stift das Wichtige; zur Not kann man auch auf den Arm schreiben. Ideen verschwinden, wenn man sie nicht aufschreibt.“ Oh ja, das tun sie! Diese kleinen genialen, aber schrecklichen Dinger hauen einfach ab, wenn man ihnen nicht sofort die volle Aufmerksamkeit schenkt.
Wie sie ihren Schreibtisch beschrieb und ihre Art und Wiese zu arbeiten, kam mir sehr bekannt vor. Abgesehen davon, dass ich keinen herrlich verschnörkelten Tisch habe; z.B. wie einem auf dem Foto. Und leider auch keinen Zitronenbaum vorm Fenster. Chaos, Bilder und die Flucht zum Sofa bleiben. Zu ihrem Glück arbeitet sie nur an sechs Projekten zeitgleich. Bei mir sind es deutlich mehr.
Funke erschuf Reckless zusammen mit ihrem Freund Lionel Wigram, in dem sie den Text auf Deutsch schrieb, ihr Cousin es übersetze, und dann Wigram daran rummeckern konnte. Dominic hat gelacht bei diesen Worten. Wahrscheinlich weil er den Part des Meckerns so gut bei meinen Texten beherrscht. 😉 Und ja, schreiben macht immer noch am meisten mit jemanden Spaß. Dabei entstehen die besten Ideen. Besonders wenn man sich anmeckert, zurückfaucht und das Gefühl hat, sich nie zu einigen. Wenn dies doch passiert, entsteht definitiv etwas Gutes daraus.
Die Fragerunde selbst war … lächerlich. Der Moderator vereinbarte schon vor Beginn mit ein paar Kindern, dass sie Fragen stellen. Dass dabei, doppelte Fragen auftraten und ein Junge wissen wollte, wer der Junge auf dem Cover ist (?!), hatte dieser wohl nicht bedacht. Ich denke, dass hätte man besser organisieren können.
Zum Schluss gab es noch zwei weitere Kapitel, bevor Frau Funke sich zur Signierstunde verabschiedete. Es war wieder einmal typisch, dass dies in der ersten Etage stattfinden sollte; in einem Gebäude, das keinen Fahrstuhl besaß. Dominic lässt von solchen Widrigkeiten jedoch nicht abbringen und nutzte die Gelegenheit, dass die Autorin sich aus ihrem Kleid schälen wollte.
Wir sind also in Richtung Bühnenausgang und Umkleiden gewandert und haben sie gerade noch erwischt. Anstatt also die Letzten in der Reihe der Signierenden zu sein, waren wir die Ersten und hatten sogar noch Zeit für ein kurzes Gespräch.
Da Dominic ja meine Geschichten so gerne mitkonstruiert, hat er folgende Fragen an Frau Funke gestellt:
1. Der zweite Band wird die Suche nach dem Heilmittel. Sowie wir Hinweise auf dem Verbleib des Vaters erhalten.
Antwort: Keine. (Das deute ich als ja.)
2. Wir haben den Vater schon getroffen, weil er ein Goyl ist.
Antwort: Nein, definitiv nicht. Zum Glück habe ich diesen Weg nicht eingeschlagen, weil jeder der Leser dann schon gewusst hätte, was passiert!
3. Wir müssen Will zurückholen und gegebenenfalls muss er wieder zum Goyl werden, um die Welt zu retten. Im Sinne von „Nur der Sohn kann den Vater schlagen.“
Antwort: Ich habe einen anderen Weg genommen, aber die Idee hatte ich auch. (Ob der Sohn den Vater schlagen muss, verriet sie jedoch nicht.)
Getraut hat er sich jedoch nicht zu fragen, ob Fuchs stirbt. Wahrscheinlich rieb er mir das nur unter die Nase, weil er wusste, dass ich mich aufregen würde.
Abschließend lässt sich sagen, dass ich begeistert war von dem atemberaubenden Kleid, der eingespielten Performance zwischen Autorin und Hörbuchstimme. Leider kam das Rahmenprogramm etwas zu kurz, was aber vielleicht auch daran lag, dass sehr viele Kinder anwesend waren. Kinder hätten einem Frage-Antwort-Spiel über dem Verlauf der Lesereise und der Resonanz auf Funkes neues Werk bestimmt nicht folgen können..
Wow, ein toller Bericht und sicherlich ein Erlebnis, was noch lange in deinem Herzen bleibt. Liebe Grüße Rici
is echt der Hammer eure Seite, ihr seid guuut!