Ich habe gerade zehn Minuten vor der Wohnungstür meiner Großeltern gewartet, weil Opa mittags schläft und ich lieber klopfen sollte. Die laute gongartige Klingel reißt ihn immer aus dem Schlaf. Okay, darauf kann man sich einrichten. Klopfe ich eben. Dreimal – das hat man mir als Kind so eingebläut. Drei Mal Anklopfen versteht sich als höfliche Anfrage, ob man eintreten darf. Nichts passierte. Ich klopfte erneut. Durch die Tür hörte ich Schritte, aber die schlurften in Richtung Küche. Was blieb mir anderes übrig als das Aufwachen meines Opas in Kauf zu nehmen und zu klingen? Schließlich wollte ich ja rein, wollte, dass man mir die Tür öffnet.
Wie hat man das früher gemacht? So ein Türklopfer ist nicht besonders laut. Das kann ich mit guten Gewissen behaupten, da ich einen getestet habe. Früher war die Haustür meiner Freundin mit einem versehen, einen schweren Klotz in der Form eines Löwen. Also haben wir, kindisch wie man sooft ist, ausprobiert, wie laut es wirklich klopft. Ohne auf die Details einzugehen: Ich stand ziemlich lange draußen in Wind und Regen und genoss den Herbst, während ich klopfte, klopfte und weiter klopfte. Annahmen, dass meine Freundin einfach nicht öffnen wollte, werden schlicht ignoriert. 🙂
Aber ernsthaft: Hat man sich früher die Beine in den Bauch gestanden, bis jemand zufällig die Tür öffnete? Aber was dann? Eigentlich wollte man die Person doch besuchen und nicht mit erleben, wie diese aus der Tür zum Einkaufen rauschte. Vielleicht traf man sich auch nie Zuhause, sondern immer nur in Parks, Kaffees und Restaurants. An Orten, wo eben kein Klopfer gebraucht wird.
Auf der Straße stehen und rufen … Eine Möglichkeit, wenn auch eine nervzerreißende. Ich würde mir als allererstes Ohrenstöpsel kaufen, sollte in meiner Straße jeder jetzt laut den Familiennamen rufen, damit sich die Tür öffnet. Ganz zu schweigen, dass ich ständig zur Tür rennen müsste. Franke gibt es hier schließlich nicht nur einmal. Jeder Besucher wäre heiser und müsste mit einer Tasse Tee empfangen werden.
Wenn man reich war, hatte man früher bestimmt einen eigenen Hausangestellten, der sich nur um die Angelegenheiten der Tür kümmerte. Dieser saß dann mit seinem Höckerchen im Flur, der Eingangshalle oder vor dem Tor des gewaltigen Schlosses und lauschte. Ich nenne ihn, da alles seine Ordnung und Bezeichnung haben muss, Herr Klopfgeräuschlauscher. Stets zur Stelle, wenn ein Gast sich ankündigt und den Rest des Tages mit seinem Höckerchen verwachsen. Mit einem respektvollen Nicken würde er die Ritter und edlen Herren einlassen. Mit einem kecken Lächeln die Damen und Kinder. Sollte jemand jedoch „Lasst mich sofort ein“ brüllen und gegen das Holz hämmern, stellte Herr Klopfgeräuschlauscher sich taub. Genauso wie er die Liebesbriefe, die unter dem Türschlitz geschoben wurden, einsteckte und heimlich las.
Zum Glück hat jemand die Klingel erfunden. Das Gehalt von Herr Klopfgeräuschlauscher könnte ich mir schlecht leisten. Geschweige denn, dass der arme Herr gekündigt hätte, wenn er einen Tag lang Postboten, Werbung, GEZ-Eintreiber und Zeugen Jehovas abwimmeln müsste.
Ach ja, falls es jemanden interessieren sollte, mein Opa ist nicht aufgewacht..